Recibos
[span. Kassenzettel]
Fortlaufend seit 2021
Acryl auf Papier
Konzeptmalerei: Ein Überdenken des Stilllebens. Das Nature Morte wird auf das Wesentliche reduziert und in lakonischer Textform abstrahiert. Die Arbeiten sind Paraphrasen Alter Meister, oft in deren Muttersprache verfasst und durchdrungen von kunstgeschichtlichen Hinweisen. Zudem haben sie einen persönlichen Bezug zu den Wirkungsbereichen, Stationen und dem Milieu Fischers. So erscheinen etwa Freunde als Kassierer, die eigene Personalausweis- oder Steuernummer findet sich unauffällig im Datenwulst, während Barcodes mit versteckten Botschaften versehen sind. Das Kaufdatum des Kassenbons entspricht dem Tag der Fertigstellung des gemalten Belegs, gekennzeichnet mit dem Signum KF.
Die Arbeit knüpft an seine frühere Paraphrase-Serie an.
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»Die Arbeiten von Kai Fischer befragen und „hacken" bestehende Ordnungen. Seine Recibos - in Serie gemalte Kassenzettel, dekonstruieren das Grundprinzip des klassischen Tafelbildes und markieren es als Warenfetisch im Benjaminschen Sinne. Noch immer erzielt Malerei am Kunstmarkt die höchsten Preise und ist im Kunstverständnis der gesellschaftlichen Mehrheit am präsentesten. Ein Schlüsselwerk abendländischer Malerei ist Caracchis Bohnenesser (ca. 1584). Dieses übersetzt Fischer nun in einen profanen Kassenzettel, den er dann wiederum in ein Tafelbild zurückverwandelt. Dieses Bild lässt sich decodieren: Die Adresse Via della Pilleta in Rom entspricht dem Standort des Gemäldes in der Galleria Colonna in Rom und selbstverständlich finden sich auch fagioli al fiasco - die Bohnen in der Flasche. Das Sujet des Bohnenessers ist auch deshalb passend, da Fischer in seinen Arbeiten immer wieder Rituale und Gegenstände, die einem eher proletarisch konnotierten Arbeitsmilieu entspringen, nutzt. Er diskutiert so auch Fragen zur sozialen Herkunft im Kunstbetrieb.«
Sebastian Schmitt,
Leiter der Villa Merkel, Galerie der Stadt Esslingen
»Was hat ein Kassenzettel mit einem Stillleben zu tun?«, ist wohl die erste Frage, die man sich stellt, wenn man die Arbeit von Kai Fischer betrachtet. »Sehr viel!« lautet die Antwort.
Diese Arbeit ist Teil einer 2021 begonnen Werkreihe mit dem Titel Recibos – Spanisch für Kassenzettel. Mit Acrylfarbe malt Kai Fischer einen Kassenzettel überdimensional groß auf Papier. Inhaltlich bezieht er sich dabei auf altmeisterliche Stillleben. So auch mit diesem Bon, der auf das Stillleben Blumenvase mit Schmuck, Münzen und Muscheln aus dem Jahr 1608 von Jan Brueghel d. Ä. – auch »Blumenbrueghel« genannt – zurückgeht. In der Warenliste finden wir neben Dianthus – dem botanischen Namen für Nelken – sowie Lilien und Rosen, auch die Tulpenart ›Semper Augustus‹. Diese heute nicht mehr existente Tulpe war zu Beginn des 17. Jahrhunderts besonders wertvoll. Als auf dem Höhepunkt der Tulpenmanie 1637 der Markt überraschend einbrach, lag der Preis für eine ›Semper Augustus‹ bei 10.000 Gulden – einer Summe, mit der man zur damaligen Zeit eine mehrköpfige Familie ein halbes Leben lang versorgen konnte.
Nun kommt dieses Blumenstillleben weder prachtvoll noch malerisch-illusionistisch daher, sondern konterkariert durch die Überhöhung eines Kassenzettels gezielt die Discounter-Mentalität in unserer Gesellschaft. Gleichzeitig hinterfragt er mit dieser Konzept-Arbeit auch den Kunstmarkt sowie den Stellenwert der Malerei selbst. Denn auf Auktionen erzielt Malerei noch immer die höchsten Preise.
Doch damit nicht genug: In den Daten versteckt Kai Fischer zahlreiche Hinweise und Bezüge auf das Brueghel’sche Stillleben und den Schöpfer selbst. Die auf dem Kassenzettel angegeben Adresse des Supermarktes ›Mechelseplein 24‹ in Antwerpen ist die Adresse der St. Joriskerk, in der Jan Brueghel d. Ä. begraben liegt. Brüssel wiederum markiert den Geburtsort Brueghels. Darüber hinaus verwebt Kai Fischer auch eigene autobiografische Notizen. Neben der Personalausweisnummer sind seine Initialen KF zu finden sowie ›D 68167 Mannheim‹, dem Entstehungsort des Werks und Wohnsitz des Künstlers.
Ausstellungstext "Die Schönheit der Dinge" aus der Kunsthalle Emden